Ausser sich by Ursula Fricker

Ausser sich by Ursula Fricker

Autor:Ursula Fricker [Fricker, Ursula]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


In der Wade spürte ich mein Herz pochen, den Schmerz, der mit jedem Pulsschlag zuzunehmen schien. So eine kleine Wunde nur. Sebastian schlief. Vor dem Haus stand eine Straßenlaterne, ihr Licht warf den unruhigen Schatten eines Baumes an die Decke unseres Zimmers. Durch die geschlossenen Fenster hörte man ein Rauschen, man wusste nicht, ob es das Meer war oder der Wind.

Ich träumte von Rufus. Dass er zurückgekommen ist. Dass er lebt und lebt und alle sich wundern, wie ururalt der Kater nun schon geworden ist, das sei doch gar nicht möglich, sagen sie, so ein Alter bei einer Katze. Rufus aber sieht grauenhaft aus, verstaubtes, mottenlöchriges Fell, glasige Augen und überall stechen Drähte durch eine trockene, ledrige Haut. Er streicht um Sebastians Beine, während Sebastian Koffer packt in einem Zimmer, das aussieht wie ein Hotelzimmer. Ich will ihm etwas erklären, aber kein Wort kommt über meine Lippen. Ich bin stumm. Er sieht mich an und scheint auf etwas zu warten. Verlassen wir uns jetzt? Verlässt du mich? Er verschnürt den Koffer, der viel zu voll ist, mit einem Gürtel. Unten steht ein schwarzes Taxi. Er fährt davon, ohne zu winken, ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich renne hinter dem Taxi her. Es regnet. Irgendwann komme ich zum Bahnhof, dort steht meine Mutter. Sie sagt, jetzt wo Sebastian tot sei, solle ich endlich einsteigen, der Zug wolle abfahren. Er ist nicht tot, will ich sagen, er ist nur weggefahren für eine Weile. Ich habe das Taxi mit eigenen Augen gesehen. Mutter beginnt abscheulich zu lachen. Ein riesiger Kater (nicht Rufus) kommt um die Ecke geschossen und beißt mich ins Bein.

Jäh wachte ich auf. Sebastian saß im Bett, wiegte sich vor und zurück. Es stank, hoffentlich hatte die Windel gehalten. Komm, ich nahm seine Hand. Ins Bad, unter die Dusche. Zog ihn aus, löste vorsichtig die Windel. Als das Wasser seine Haut traf, schrie er. Ich erschrak, überprüfte erneut die Temperatur. Er zitterte. Alles gut, Bastian, halte dich fest, hier, ich legte seine Hand an die Mischbatterie. Die Kotfetzen lösten sich, verdünnten sich, quirlten spiralförmig zum Abfluss. Ich schmierte ihn mit einer Ladung Duschgel ein. Er flennte und jammerte. Als ich mich wieder aufrichtete, knallte er seinen Kopf gegen meine Stirn. Im letzten Moment fing ich mich. Taumelte zurück, suchte Halt an den Fliesen, rutschte ab. Er biss sich in den Handrücken. Ich rappelte mich hoch. Ich stand mit dem Rücken zur Wand. Ich versuchte, ihn festzuhalten, es ging nicht, seine Haut und meine Hände waren glitschig. Irgendwann gelang es mir, aus der Ecke zu schlüpfen, mir die Hände zu waschen und die Tropfen aus der Tasche zu holen. Ich gab ihm zehn Tropfen. Seltsamerweise weigerte er sich nie, die Tropfen zu nehmen. Sah er den Löffel, sperrte er sofort den Mund auf. Bis ihn das Valium zur Ruhe zwang, zerbiss er sich die ganze Hand. Zitternd brachte ich ihn wieder zu Bett. Als er lag, still dalag, desinfizierte ich die Wunden, verband sie. Ich öffnete das Fenster.

Niemand lebte noch in dieser Welt.



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